Volltext: Albrecht Dürer

Aus Nacht zum FCLicht. 
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ging die Sache in das innerste Gemüt. Bei Tag und Nacht be— 
schäftigte ihn der eine Gedanke: Was muß ich thun, daß ich 
selig werde, und die Frage: Ist das der richtige Weg, den die 
Kirche zeigt? 
Je länger er den Predigten Links lauschte, desto mehr ward 
er an der Wahrheit der römischen Kirchenlehre irre, und der 
Zweifel regte sich in ihm um so eher, als der tiefsinnige, von 
echter Frömmigkeit beseelte Mann in richtigem Instinkt schon 
lange Zeit eine dunkle Ahnung von der Wahrheit des Evange— 
liums in sich getragen hatte. Wohl hatte er seine Kunst bisher 
in hohem Maß an der Verherrlichung der Jungfrau Maria ge— 
übt, in welcher die allgemeine Anschauung der Zeit die Königin 
des Himmels und die Herrin der Welt verehrte, zu der man 
betete als zu der ewigen Beschützerin des menschlichen Geschlechts, 
welche den Elenden die Strafe der Sünde tilgt, unheilbares 
Übel heilt, den Erdkreis dreht, die Sonne erleuchtet, die Welt 
regiert und die Hölle zittern macht; nicht bloß in seinem Ma— 
rienleben, sondern auch in seinen zahlreichen Madonnenbildern, 
deren man mehr denn zwanzig zählte, hatte er der abgöttischen 
Verehrung dieses Menschenkindes Vorschub geleistet. Aber eine 
genauere Betrachtung aller dieser Bilder mußte lehren, daß dem 
Künstler selbst nichts ferner gelegen hatte, als diese Abgötterei 
zu fördern. Wer Augen hat zu sehen, der sieht, daß die Jung⸗ 
frau Maria auf den Bildern Dürers nicht die eigentliche Haupt— 
person ist: das göttliche Kind ist es vielmehr, um das sich alles 
dreht. Ihm dienet alles, die Engel und die Heiligen und mit 
ihnen auch die, aus deren Schoße es hervorgegangen war. Nicht 
vom Heiligenschein umstrahlt erscheint Maria auf den Bildern 
Dürers, sondern als ein rechtes, echtes Menschenkind, ja wie 
eine rechte, echte N.urnberger Mutter in der Nürnberger Tracht. 
In ihren Augen malt sich die Liebe zu ihrem Kind. Sie säugt
	        
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