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gleich sehr ausgezeichneten jungen Colditzer ein tüchtiges
Ordensglied gefunden zu haben: jene Tiefe ethischer Lebens⸗
anschauung, jene vornehme Bescheidenheit und vor allem
jenes homiletische Verständnis, durch welche Eigenschaften er
sich selbst an die Spitze des Ordens und, wo er auch immer
weilte, an die Spitze der Gesellschaft gestellt wußte, fand
er in ihm in wunderbarer Harmonie wieder.
Wie wußte Wenzel die erweckte Hoffnung zu recht—
fertigen! Er durchlief alle Stadien der akademischen, kirch⸗
lichen und Ordensthätigkeit, soweit Wittenberg letztere zu
entwickeln Gelegenheit gab. Jetzt erachtete der General—
vikar die Zeit für gekommen, ihn für die leitende Stellung
innerhalb der Congregation vorzubereiten. Dazu fand er
in Wittenberg für Predigtdienst, Klosterstudien und Ordens⸗
visitation in CLuther reichen Ersatz. Wie richtig unsere
Vermutung ist, daß allein die Absicht, Linck in seine Nähe
zu ziehen, bei Staupitz für dessen Berufung maßgebend
war, werden wir aus der baldigen Abänderung seiner
Bestimmung erkennen. Als nämlich der Generalvikar im
Oktober den wittenberger Prior nach München versetzte,!)
gedachte er selbst in diesem Konvente den Winter in Ruhe,
wie er an Luther schrieb, zu genießen.) München war
das Kloster, wo Staupitz Profeß gethan hatte, und auch
den Winter des nächstfolgenden Jahres verlebte er hier,
mit Predigten über die Liebe Gottes beschäftigt, welche
die Grundlage seiner gleichnamigen reifsten Schrift bilden.?)
— Für diesen Winter aber wurde seine Absicht durchkreuzt.
Bereits am 14. November finden wir ihn in Nürnberg
und schon am 22. Januar erwartete Scheurl auch Lincks
Rückkehr nach dort von einer Visitationsreise, die derselbe
mit Staupitz angetreten hatte.“) So scheint Linck bereits
ä—ibliothe
Anñrabarce