Ein Kapitel der Selbstbiographie. 145
Mannes konnte ich gar nichts wahrnehmen, denn er war verschleiert,
und zwar, wie ich glaube, vermittelst eines über den ganzen Kopf
herübergezogenen seidenen schwarzen Tuches. Die Kleider desselben
bestanden aus einem neuen Ueberrock und dergleichen langen Bein—
kleidern, ohne daß ich darüber zu urteilen mir getraue!), ob die be—
zeichneten Kleider von dunkelgrauer, dunkelgrüner oder schwarzer Farbe
gewesen. Genau nahm ich dagegen wahr, daß er mit neuen, schön
gewichsten Stiefeln ohne Hufeisen oder Nägel auf den Absätzen,
endlich mit gelbledernen Handschuhen an beiden Händen versehen
gewesen.) Endlich hörte ich im Niederfallen auf den Boden vor
dem Abtritt aus dem Munde des bezeichneten Mannes die Worte:
„Du mußt doch noch sterben, ehe du aus der Stadt Nürnberg
kommst,“ und obwohl er diese Worte nur ganz leise sprach, so er—
kannte ich dennoch an der Stimme () denselben Mann, der
mich hierher geführt und auch schon dortmalen nur
leise mit mir gesprochen hat. Nachdem ich geraume Zeit be—
wußtlos9) vor dem Abtritte gelegen, endlich aber doch wieder zu mir
selbst gekommen war, spürte ich etwas Warmes mir über das Ge—
sicht laufen, griff nach der Stirn mit beiden Händen, die hierdurch
blutig wurden. Erschreckt hierüber wollte ich zur Mutter hinauf,
kam in der Verwirrung und Angst) aber, statt zur Thüre der
) Es war nämlich „am Abtritt zu dunkel.“ Und doch gehörte der Mann
„nach seinem Aussehen zu den vornehmen Herren in der Stadt.“ (Erstes Verhör)
2) Dieser Teil der Toilette erschien im 2. Verhör. „Vergessen habe ich bis⸗
her, daß der Mann an beiden Händen weißgelbe Handschuhe trug, was viel—
leicht auch sein Glück ist, denn hätte ich nur eine seiner Hände gesehen, ich ge⸗—
traute mir, sie in vorkommenden Fällen wieder zu erkennen.“ Auch diesen Kohl
der Cheiromantie Kasperles verschluckte die Kommission ohne Beanstandung.
übrigens war die Maßregel des „Mannes“ überflüssig. Er war so dumm, ein
dummes Attentat so dumm wie nur möglich auszuführen und sich dann nach—
träglich durch seine „verstellte Stimme“ Kaspar zu entdecken!
5) „Geraume Zeit“ und doch „bewußtlos“? Im l. Verhör schon: „Ich
weiß es genau, daß ich geraume Zeit dort gelegen bin.“
N Hier schaltet Feuerbach („Kaspar Hauser“, S. 133) ein: „denn ich fürchtete
immer, der Mann, der mich geschlagen, sei noch im Haus und werde zum zweiten⸗
mal über mich kommen.“
v d. Linde, Kaspar Hauser. J1.