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Schärfe. In den würdevollen Aposteln aber, die gleichsam schon
die unreife Frucht der einfachen Schönheit der Apostel Cafel X., 6)
am Sebaldusgrabe in sich tragen, zeigt Vischer, ganz im Gegen—
satze zum Breslauer Denkmal, das Bestreben, brüchige und knittrige
Faltengebung zu vermeiden, zu einer bescheidenen und idealen
Schönheit und individuellen Charakteristik zu gelangen. Deshalb
erinnern sie aber doch an die untersetzten Gestalten Kraffts mannig—
fach und lassen manches von dessen Kunst nachklingen. Der Baldachin
mit der gebogenen Spitze über dem Haupte des Bischofs ahmt in den
Formen das kühne Meisterwerk Kraffts nach, das damals ein Jahr
vollendet, die Augen aller Nürnberger auf sich zog. Jünger als
Krafft, hat er mit ihm viel Verwandtes. Dies zeigte schon der Ent—
wurf zum Sebaldusgrabe von 1488. Wer war aber hier der Be—
einflussende? Man möchte sich am ehsten zu der Annahme bequemen,
daß der ältre auf den jüngern eingewirkt habe. Nach Neudörffer
standen beide in freundschaftlichem Verkehr. Alle Feiertage kamen sie
mit Sebastian Lindenast)) zusammen, um sich in der „Aufreißung“
zu üben?).
Im Sebaldusgrabe mißlang es, eine Legierung fremder und hei—
mischer Formen zu bekommen, es entstand nur ein Mischstil zweier
nicht verwandter Elemente. Mag der erste Eindruck ein berauschender,
phantastischer, ja verwirrender sein, mag man einheitliche Formen
vergeblich suchen, mögen einige Teile unorganisch zusammengesetzt sein,
wie die Pfeiler und Baldachine, mag überhaupt kein ästhetisch
befriedigendes Kunstwerk gelungen sein, dennoch bleibt das Monument
ein wunderbares Prachtstück deutscher Kunst, das von dem Kampfe
zweier Kunstanschauungen, gotischer, selbst romanischer Formen und
italienisch klassicistischer Bestrebungen, redet. Gerade durch einen be—
sondern, ich möchte sagen phantastischen Reiz, der in der nordischen
Kunst noch einmal zum vollen Durchbruch gelangte, hat das Grabmal
etwas so Verlockendes.
Vischers Söhne haben an dem Werke Anteil. Trotzdem wird
i) Lindenast wurde Vormund der Kinder Peter Vischers (Jahrbuch für Kunst—
wissenschaft 1869, p. 286, Anm.).
2) Neudörffer schreibt bei Erwähnung des Sebastian Lindenast: „sind auch
alle Feiertag in ihrem Alter zusammen gangen, sich nit anders als wären sie
Lehrjungen, mit einander geübet, welche übung und ihr Aufreißung noch zu
weisen ist, sind auch allemal, ohne einiges Essen und Trinken, freundlich und
brüderlich von einander geschieden.