336
Kaspars Selbstverwundung.
4t, Uhr“ datiert hat. Allein es ist das dritte Mal, daß wir uns
das Geschehene von Kaspar selbst und zwar wieder ganz allein
von ihm erzählen lassen müssen: das Einkerkerungsmärchen beruht
bloß auf seiner Erzählung, ebenso das Attentatsmärchen vom
Oktober 1829, schließlich auch das Hofgartenmärchen. Denn trotz
energischer, in elf umfangreichen Aktenbänden aufbewahrter Unter—
suchung wegen Mordes, wurden auch diesmals Kaspars Angaben
nicht durch den schwächsten Schatten eines Beweises bestätigt oder
unterstützt! Soll man nun Dinge, für welche nichts, gegen welche
aber alles spricht, aus dem Munde eines Menschen, dem „das Lügen
zur zweiten Natur geworden“ war, gläubig hinnehmen? Diesen ent—
scheidenden Punkt sollte man bei Beurteilung der Hauserlitteratur nie
aus den Augen verlieren.
Auch bei dieser letzten Erzählung wurde der 2Iu,, jährige Kaspar,
der doch schon katholisch kommuniziert hatte und lutherisch konfirmiert
war, nicht beeidigt. Zu den Gründen des Untersuchungsrichters,
die ihn zu dieser Ausnahme bestimmten, gehört an erster Stelle eine
Erwägung, die man kaum ohne Spott lesen kann: „Kaspar Hausers
Alter ist nicht bekannt. Nach dem Strafgesetzbuche findet die Be—
eidigung nur nach zurückgelegtem 18. Lebensjahre statt. (Nun war
er aber schon nach den Akten von 1828 in einem Alter „von 16
bis 18 Jahren“!) Erst im heurigen Jahre fand die Konfirmation
statt (1829 wurde er nicht beeidigt. weil er noch nicht konfirmiert
werden wird.“ Darauf faßte das Gericht unterm 28. Januar 1834 folgendes
sKtonklusum: „Das Untersuchungsgericht hält sich nicht für ermächtigt, dem Herrn
Ober-Leutnant Hickel oder Lord Stanhope ein Faksimile des zu den Untersuchungs-
akten gekommenen, in einem violettseidenen Beutelchen im Hofgarten gefundenen
Zettelchens mitzuteilen.“ Lehrer Meyer erhielt am 1. Oktober 1834 vom Kreis—
und Stadtgericht Ansbach den Bescheid, daß es sich nicht für ermächtigt hielt, ihm
eine (für seine geplante Schrift über K. H. verlangte) Nachzeichnung nehmen zu
lassen. Darauf wandte er sich den 23. November an das Appellationsgericht, war
aber, als er den 1. Januar 1835 an Stanhope schrieb, noch ohne Antwort, und
so verzichtete er auf den Druck seiner wichtigen Hausernotizen. Stanhope hat also
den interessanten Zettel nie zu sehen bekommen, auch Klüber nicht. Hickel aber
hat sich eine Lithographie verschafft, und eben diese bildet die Grundlage unferer
von Edm. Gaillard in Berlin hergaestellten Reproduktion