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Zehntes Kapitel.
Dürer strich sich das reiche Lockenhaar aus der Stirn und
nickte seinem Weibe zu. „Ich mag dir nicht die Bitte weigern,
du liebe Agnes, zumal ich wohl weiß, du bittest weniger für
dich selber als für mich.“
Er tauschte den Hausrock mit einem bessern Gewand, setzte
das Barett aufs Haupt und verließ an der Seite der Gattin
das Haus und die Stadt.
Sie hatten eben das Thor hinter sich, als ihnen ein junger,
schlank gebauter Mann entgegentrat, der mit feinem Anstand
das Haupt entblößte: „Grüß Gott, Meister Dürer! Ei, welch
glückliche F.igung, daß Ihr der erste seid, der mir im Thor
von Nürnberg begegnet! Siehe, an Eure Thür zu pochen, bin
ich hieher gekommen.“
„Wie, Ihr seid's, liebster Schäufelein?“ rief Dürer mit der
Gebärde des Erstaunens. „Wie eine Fügung des Himmels erscheint
mir solche Begegnung. Siehe, vorhin erst führten wir Euren
Namen im Munde. Und was ist's, das Ihr von mir begehret?“
„Meines Herzens Wunsch wäre“, erklärte der Nördlinger,
„daß Ihr an mir vollendet, was Meister Wolgemut begonnen.
Schier ein Jahr lang bin ich in die Fremde geschweifet, um
anderer Meister Lehre zu genießen, da gedachte ich Eurer und
sprach bei mir selbst: Warum strebst du in die Weite, da du
den besten der Lehrmeister in der Nähe hast? Habet Ihr noch
Raum für einen Gesellen, so bitte ich Euch, Ihr wollet mir
bei Euch eine Unterkunft gewähren.“
Dürer tauschte mit seiner Frau einen bedeutsamen Blick
und erwiderte: „Raum ist wohl da, maßen ich bis anher allein
in meiner Werkstatt gestanden und der Gesellen Hilfe verschmähet.
Aber diese da, meine liebe Ehewirtin, dränget mich hart, ich
solle mir Beistand suchen, damit ich unter der Bürde der ge—
häuften Arbeit nicht gar erliege. Und zu Euch nun habe ich