Volltext: Stenographischer Bericht der 34ten Generalversammlung Deutscher Müller und Mühlen-Interessenten zu Nürnberg vom 17. bis 20. Juni 1906 (34. (1906))

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kenntnis von der Beschaffenheit der Ware auf geringer oder grober Fahr— 
lässigkeit beruht; ob und wie man das System von Geldbußen heran— 
ziehen kann, die nach richterlichem Ermessen zu verhängen sind, wenn die 
Tatsache einer Schädigung zwar erkennbar, die ziffernmäßige Höhe des 
Schadens aber nicht erweisbar ist usp. Die Ordnung all dieser Punkte 
kann unbedenklich einer späteren Erörterung vorbehalten bleiben. . . . 
Will man aber so vorgehen und die ratio legis in dem Taät— 
bestand der Fälschung finden, ohne Berücksichtigung der subjektiven Ver— 
hältnisse und Beweggründe des Fälschers (Veräußerers) und ohne Berück— 
sichtigung der Folgen der Fälschung für den Käufer, d. h. also, daß allein 
das Vorhandensein wertloser Bestandteile den Tatbestand des Gesetzes 
erfüllt und die Strafbarkeit begründet, so entsteht die große Schwierig— 
keit, ob der Begriff der Wertlosigkeit immer und überall richtig 
ausgelegt wird, ob er überhaupt immer und überall richtig ausgelegt 
werden kann. Man hat dringend zu befürchten, daß selbst die strengste 
Wissenschaft da doch einmal versagen könnte; denn nicht nur Ansichten, 
sondern auch wissenschaftliche und anscheinend sehr fest begründete Über— 
zeugungen wechseln manchmal so häufig wie die Mode. Nur einige Bei— 
spiele dafür! Jahrelang hat der Samen der Kornrade bei den Land— 
wirten nicht nur als wertlos, sondern sogar als schädlich gegolten; das 
Vorhandensein von Kornrade in Futtermitteln (wenn auch in zerkleinertem 
Zustande) wurde wohl von allen landwirtschaftlichen Versuchsstationen als 
eine höchst gefährliche, dem Vieh Tod drohende Fälschung bezeichnet. Und 
jetzt? Durch landwirtschaftliche, bedeutende Sachverständige ist auf Ver— 
anlassung des Verbandes Deutscher Müller nachgewiesen, daß die Korn— 
rade ein höchst wertvolles Futtermittel ist, Beweist dies Beispiel, wie 
gründlich sich Ansichten und wissenschaftliche Uberzeugungen ändern können, 
so beweist die Tatsache, daß Müllerei und Landwirtschaft sich über den 
Begriff „Kleie“ nicht einigen können, wie schwer es unter Umständen ist, 
wirtschaftliche Begriffe juristisch festzuhalten und so auszulegen, daß der 
der Richter damit operieren kann. Die Landwirtschaft möchte unter Kleie 
nur den Rest verstanden wissen, der vom „mahlfertigen“ Getreide 
nach Entnahme des Mehles übrig bleibt, während der Verband Deutscher 
Müller erklärt: 
„Kleie ist der zerkleinerte und innig gemischte Rest einer bestimmten Menge Ge— 
treides nach Abzug von einerseits Mehl und andererseits Verunreinigungen, die für 
Menschen und Vieh ungenießbar sind.“ 
Noch weniger als die Begriffsbestimmung der Landwirtschaft, die, 
mag man sie auch als unrichtig bezeichnen, doch wenigstens Hand und 
Fuß hat, scheint die Feststellung des Reichsgerichts den Kern der Sache 
zu treffen, wonach als Bestimmungsmerkmal für Kleie hingestellt wurde: 
„Nichtbackfähigkeit und Ungeeignetsein zur menschlichen Nahrung“. 
Diese Bestimmung des Begriffes Kleie erscheint durchaus verfehlt; 
denn es ist keine ungewöhnliche Erscheinung, daß Kleie verbacken und zur 
menschlichen Nahrung benutzt wird, sei es zusammen mit Mehl, sei es 
auch allein. Das ist wohl allen Müllern bekannt. Erst ganz neuerdings 
hat sich herausgestellt, daß die zollfrei eingehende Maiskleie (das soge— 
genannte homco) in erheblichen Mengen dem Mehle zugesetzt werden
	        
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