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kenntnis von der Beschaffenheit der Ware auf geringer oder grober Fahr—
lässigkeit beruht; ob und wie man das System von Geldbußen heran—
ziehen kann, die nach richterlichem Ermessen zu verhängen sind, wenn die
Tatsache einer Schädigung zwar erkennbar, die ziffernmäßige Höhe des
Schadens aber nicht erweisbar ist usp. Die Ordnung all dieser Punkte
kann unbedenklich einer späteren Erörterung vorbehalten bleiben. . . .
Will man aber so vorgehen und die ratio legis in dem Taät—
bestand der Fälschung finden, ohne Berücksichtigung der subjektiven Ver—
hältnisse und Beweggründe des Fälschers (Veräußerers) und ohne Berück—
sichtigung der Folgen der Fälschung für den Käufer, d. h. also, daß allein
das Vorhandensein wertloser Bestandteile den Tatbestand des Gesetzes
erfüllt und die Strafbarkeit begründet, so entsteht die große Schwierig—
keit, ob der Begriff der Wertlosigkeit immer und überall richtig
ausgelegt wird, ob er überhaupt immer und überall richtig ausgelegt
werden kann. Man hat dringend zu befürchten, daß selbst die strengste
Wissenschaft da doch einmal versagen könnte; denn nicht nur Ansichten,
sondern auch wissenschaftliche und anscheinend sehr fest begründete Über—
zeugungen wechseln manchmal so häufig wie die Mode. Nur einige Bei—
spiele dafür! Jahrelang hat der Samen der Kornrade bei den Land—
wirten nicht nur als wertlos, sondern sogar als schädlich gegolten; das
Vorhandensein von Kornrade in Futtermitteln (wenn auch in zerkleinertem
Zustande) wurde wohl von allen landwirtschaftlichen Versuchsstationen als
eine höchst gefährliche, dem Vieh Tod drohende Fälschung bezeichnet. Und
jetzt? Durch landwirtschaftliche, bedeutende Sachverständige ist auf Ver—
anlassung des Verbandes Deutscher Müller nachgewiesen, daß die Korn—
rade ein höchst wertvolles Futtermittel ist, Beweist dies Beispiel, wie
gründlich sich Ansichten und wissenschaftliche Uberzeugungen ändern können,
so beweist die Tatsache, daß Müllerei und Landwirtschaft sich über den
Begriff „Kleie“ nicht einigen können, wie schwer es unter Umständen ist,
wirtschaftliche Begriffe juristisch festzuhalten und so auszulegen, daß der
der Richter damit operieren kann. Die Landwirtschaft möchte unter Kleie
nur den Rest verstanden wissen, der vom „mahlfertigen“ Getreide
nach Entnahme des Mehles übrig bleibt, während der Verband Deutscher
Müller erklärt:
„Kleie ist der zerkleinerte und innig gemischte Rest einer bestimmten Menge Ge—
treides nach Abzug von einerseits Mehl und andererseits Verunreinigungen, die für
Menschen und Vieh ungenießbar sind.“
Noch weniger als die Begriffsbestimmung der Landwirtschaft, die,
mag man sie auch als unrichtig bezeichnen, doch wenigstens Hand und
Fuß hat, scheint die Feststellung des Reichsgerichts den Kern der Sache
zu treffen, wonach als Bestimmungsmerkmal für Kleie hingestellt wurde:
„Nichtbackfähigkeit und Ungeeignetsein zur menschlichen Nahrung“.
Diese Bestimmung des Begriffes Kleie erscheint durchaus verfehlt;
denn es ist keine ungewöhnliche Erscheinung, daß Kleie verbacken und zur
menschlichen Nahrung benutzt wird, sei es zusammen mit Mehl, sei es
auch allein. Das ist wohl allen Müllern bekannt. Erst ganz neuerdings
hat sich herausgestellt, daß die zollfrei eingehende Maiskleie (das soge—
genannte homco) in erheblichen Mengen dem Mehle zugesetzt werden