Volltext: Johann Tobias Kiessling und einige seiner Freunde nach ihrem Leben und Wirken

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und gieb mir einen neuen gewiffen Seifts verwirf mich nicht 
vor Deinem Angeficht und nimm Deinen Heiligen Seift nicht 
von mir.“ Auf jedem Blatte faft jene Klagen, die nur Sott 
Fennt und welche auch zunächft nur vor Sott gehören: jene 
Klagen der Seele, der es ein rechter Erinft ift, den Weg Seiz 
ner Gebote treu und unverrüct zu laufen, und welche fich bald 
gehemmt, bald zur Seite gewichen, bald auch wohl gar Darz 
niedergefällt fieht in ihrem Laufe. Ueberall aber fieht man 
auch dabei die fefte Zuverficht der freuen Liebe, welche felbft 
dann, wenn fie e8 nicht mit der Freudigkeit des YAufrechtftehen: 
den Kann, vom Boden herauf jenen Anker. feflhält und nicht 
aus den Armen läßt, in welchenı fie allezeit Kraft und Wies 
deraufffehen gefunden. Und mitten unter den Klagen Tas Sauch= 
zen der innerften Chriften= Freude, das der 103te Pfaln fo göttz 
lich fehön ausfpricht: „Lobe den Herrn, meine Seele, und was 
in mir ift, feinen heiligen Namen; “ das Iauchzen der Seele, 
die fich in Seiner heilenden Kraft wieder jung geworden fühlt 
wie ein Adler, und fich erhebt auf YWolersfittigen, fo hoch der 
Himmel ift über der Srde. 
Sn jenen älteren Fageblichern dankt alfo unfer feliger oz 
bia8 für fein noch nicht tief genug geFanntes, von Natur und 
durch die Angewihnung einer frommen, chriftlichen Erziehung 
weiches und dußerlich gutgeartetes Herz; in den fpäteren Tages 
büchern aber Elagt er über eben diefes nun näher gefannte Herz, 
und bittet Gott um ein neues, reines. 
Und dies ift auch einer von jenen Punkten, in welchen 
die Gnade von der Natur, fo oft fie Ddiefer auf den Saffen 
der Welt begegnet, verfpottet und mifßverflanden wird. „Mich 
Felt, “ fagt die Natur, „vor diefem Sefchwäß von Sündhaf= 
tigFeit und Verderben, bei welchem fich oft arge Heuchelet 
und geiftliche Sitelfeit und Sefallfucht unter der Larve der De- 
muth verbirgt. Sch meines Theiles gebe dem Kaifer, was des 
Kaifers ift, und Gott, was Sottes ift, bin Fein Trunkenbold, 
noch Ehebrecher, noch Ungerechter, und was wilft du denn 
weiter von mir? Sch gehe ja fchon den Weg, den du als den
	        
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