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für feinen theuren Nehberger und für die längere Erhaltung
feines Lebens zu beten. Aber Sott hatte e& anders befchloffen.
Schon am erften Pfingfttage nach der Predigt, die er auch
mit voller Leiblicher Kraft und lauter Stimme gehalten, fühlte
unfer lieber Nehberger eine tiefe Ermattung, die jedoch bei
dem erft 53jährigen Fräftigen Manne nicht bedenklich fchien,
und auch im Verlauf des Nachmittags- wieder nachließ. Um
andern Pfingfitage wollte der liebe, in feinem Berufe uners
miüßbdet thätige Mann, in deffen ganzer Amtsführung es faft
ohne Beifpiel war, daß er fich jemals von einem Andern hätte ver=
treten Taffen, wie gewöhnlich feine Predigt halten. Er begiebt
fi in fein Zimmer, um fih durch Sebet und durch Betrach-
fung des göttlichen Wortes vorzubereitenzs da finden ihn die
Seinen gelähmt im Lehnfeffel. .
Der liebe Mund, der fo viele Worte des Segens für Tauz
fende gefprochen, Fonnte nicht mehr reden; die Augen ftarrten.
AS zur gewöhnlichen Stunde die Zuhörer von geftern,
und alle die treuen Seelen, die feit Sahren gewohnt waren,
mit Willen Feine Predigt von ihrem lieben Rehberger zu ver=
fäumen, einen andern Prediger auf die Kanzel fteigen fahen und
diefer ihnen die Urfache fagte, weshalb der theure Mann heute
und vielleicht nie wieder unter ihnen auftreten Fönne, unterbrach
ein lautes Weinen der Sreife und Männer und Jünglinge, der
Matronen wie der Jungfrauen, feinen Vortrag, und e$ vers
wandelte fich die Predigt in ein gemeinfchaftliches Sebet für die
Erhaltung diefes theuren, fegensreichen Lebens.
Unfer Tobias hatte fchon am Vormittag die Nachricht
von der Zodesgefahr feines theuerften, Kiebften Freundes gehört.
Um Nachmittag fah er ihn, wie er dalag auf feinem Bette,
ferachlos, mit gefchloffenen Augen und dußern Sinnen, aber fez
lig, ruhig lächelnd: „D Herr, wie freue ich mich nun bald bei
Dir zu fein!“
„Die ganze Stadt, Alt und Jung, auch die Sleichgültigften
und Unempfindlichften, waren bei der Nachricht von der Tos
desgefahr Ddiefes feltenen Heben Mannes fo beweat und erfchüttert,