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die wir an ung fragen, und Iechrt uns diefelbe recht erkennen.
Dann läßt er uns oft wieder ruhen in feinen Erquicfungen,
wie die Mutter den Säugling an ihrer Bruft. Hierauf ent=
hüllt er uns von Neuem einen bis dahin noch nicht erkannten
Makel, und reiniget uns von ihm, indem er uns durch neue
Leiden zu dem Brunnquell des Lebens hintkreibt, in welchem
allein Vergebung und Heilung ift. Und fo wird denn, o du
ewige Siebe! durch deine Geduld, die du mit uns trägft, eine
Viage des Lebens nach der andern zurückgelegt, und aus Ybend
und Morgen wird endlich der fechfte Tag! Hätteft du aber,
nach unfrer Menfchenweife, die Nacht ohne Wechfel mit dem
Licht und die Züchtigungen Deines Ernftes alle auf einmal auf
uns fallen laffen, wir hätten das nicht ausgehalten. Du aber
willft nicht den Tod des Sünders, fondern. daß wir uns befeh=
ven und leben. Darum Fömmt fo eine Trübfal nach der an-
dern, aber dazwifchen Fommen immer wieder Stunden des Uus=
ruhens und Erquickens, und durch alle fieben Trübfale führft
Du uns auf Adlers Fittigen hindurch!
Unfer feliger Kießling, welcher im Wohlftiand geboren
und einen großen Theil feines Lebens hindurch Befiker eines
anfehnlichen Vermögens gewefen war, mußte in den lekten Jah
ren feines Lebens noch erfahren, was Armuth fei, und er, der,
fo lange er felbft hatte, fo viele Leidende erquidt, Hungernde
gefpeift, Nackte gekleidet Hatte, wurde zulekt, da er alt und
unfähig zum Arbeiten, aber auch nun felbft der Erquidung be:
dürftig war, fcheinbar aller Mittel dazu beraubt, aber nun
auch ganz und reichlich aus feines Sottes Hand gefpeift, erquict,
geFleidet, ja reichlicher alS er e$ jemals an fich felbft gewen=
Det hatte.
Freilich that das anfangs recht wehe, als der liebe Mann,
der fein Vertrauen zwar nie auf Seld und Sut gefeßt, aber
gelernt hatte, auch Ddiefes ihm anverfraute Pfund aufs Befte
und Sewiffenhaftefte anzuwenden, auf einmal durch fremde Unz
glüctsfälle, welche großentheils der damalige Krieg herbeigeführt
Hatte, befonders aber durch eine pISBliche Veränderung, welche
Schubert, Kickling's Leben. 3