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Glaubens begrifflich aufzufassen und darzustellen, führte zu den ab—
surdesten Erscheinungen. Zu dem schroffen Gegensatz zwischen Luther—
tum und Calvinismus kam noch eine Fülle heftigster Streithändel
zwischen den strengen Lutheranern und den Anhängern einer weit—
herzigeren Glaubensauffassung und der gehässige Kampf streitsüchtiger
ÜUniversitätstheologen um den rechten Verstand einzelner Glaubens—
lehren pflanzte sich fort in die Konferenzen der Geistlichen, in die
Familien und in die geselligen Kreise. Wenn heutzutage die Völker
bon den Fragen bewegt werden, wie der Mensch als Bürger
Freiheit und irdisches Wohlsein erringen könne, so wurden die Menschen
jener Zeit von der Sorge gequält, wie der Mensch als Christ die
Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und damit die Seligkeit jenseits des
Grabes erlangen möge; und wenn in unseren Tagen die Köpfe heiß
werden über Kolonialpolitik und Zonentarif, über Schutzzoll und
Freihandel, über Militärbudget und die rätselreichen Fragen der
Sozialpolitik, so erhitzten sich die damaligen Menschen über die
Abendmahlslehre, über die Rechtfertigung durch den Glauben u. dgl.
In dem lutherischen Nürnberg war der Rat bemüht, religiöse
Stänkereien möglichst fernzuhalten und die Stadt blieb von denselben
auch ziemlich verschont. Ganz ohne Glaubensschnüffelei ging es
allerdings auch hier nicht ab und wenn man auch dem Nachfolger
Konrad Denks an der Sebalderschule, dem verdienten Rektor Sebald
Heyden, es nachsah, daß er in der Abendmahlslehre sich der ratio—
naleren Melanchthon-Calvinischen Anschauung mehr zuneigte als der
lutherisch⸗mystischen, so wurden doch einige Nürnberger Theologen,
welche dem orthodoxen Aichmaß nicht genügten, gemaßregelt. So
wurden z. B. schon 1555 zwei Prediger, Culmann und Vetter,
welche der Osianderischen Auffassung der Rechtfertigungslehre bei—
pflichteten, ihres Amtes enthoben und der Prediger bei Lorenzen,
Moritz Helbing, 1575 wegen seines „Philippismus“ zur Ruhe
gesetzt. Am meisten Sorge machte dem Rat der verdammunggssüchtige
Glaubenseifer seiner Prediger bei Fürstentagen in Nürnberg, wie
z. B. bei dem Kurfürstentag 1611, wo er allen Grund zu der
Besorgnis hatte, daß die nichtlutherischen Fürsten durch das Schimpfen
von der Kanzel auf ihr Bekenntnis aufs gröblichste gekränkt werden
könnten. Der Rat half sich dann damit, daß er die Prediger
ernstlich zur Mäßigung mahnte und daß er die hitzigsten, von denen
zu besorgen war, daß sie „Papisten und Calvinisten auf einem
Bündelein dem Teufel übergeben“, zeitweilig versetzte.
Vor einer anderen häßlichen Erscheinung dagegen blieb die Stadt
Nürnberg gänzlich verschont. In einem Punkte nämlich, im
Hexenwahn, trafen die Theologen aller Bekenntnisse zusammen.
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