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ganze Frühsyphilis vom Patienten einfach übersehen worden ist. Bei Frauen
st das nun in der That sehr leicht möglich. Man bedenke nur, wie unbe-
deutend entwickelt, wie versteckt gelegen hier oft der Primäraffekt ist, in wie
ıeichtem Grade sich die Secundaria häufig abspielen, dass ferner bei verhei-
‚atheten Frauen vielfach der Mann durch sein übles Gewissen sich veranlasst
sieht, etwa doch bemerkte Symptome als belanglos auszureden, oder auch
seine Frau nach eigenen Heften, ohne sie aufzuklären, zu behandeln -.- und
nan wird die 50 und mehr Procent von syphilis ignoree nicht mehr so unbe-
greiflich finden. Aber auch beim Manne wird solches Uebersehen verständlich
für jeden Praktiker, der oft und oft den unglaublichen Leichtsinn gesehen hat,
mit dem Patienten — selbst intelligentere und den besseren Kreisen ange-
hörende — sich viele Wochen lang mit wohlentwickeltem Primäraffekt, Drüsen-
schwellungen in den Weichen und allerhand Secundariis herumschleppen, ohne
den Arzt zu consultieren. Sie glauben gewöhnlich, »es sei eine Aufreibung,
wie sie sie schon öfters gehabt hätten, und würde schon von selbst wieder
vergehen«. Unglücklicher Weise vergeht es ja auch oft von selbst, das heisst
die Symptome bilden sich nach mehr oder minder langer Zeit ohne jede
Behandlung zurück, und der Patient ist nun völlig überzeugt, »dass es nichts
zewesen ist«, und vergisst das kleine Intermezzo im Laufe der Zeit vollständig.
Es kommen aber auch wirklich beim Manne Fälle vor, wo die Sclerose so
unbedeutend, so nur angedeutet auftritt, wo gleichzeitig die Secundärsymptome
so leicht und flüchtig sich zeigen, dass selbst ein intelligenter und nicht leicht:
sinniger Träger einer derartigen Syphilis sein Leiden ganz übersehen kann.
[ch gestatte mir, hierzu einen Fall meiner Beobachtung anzuführen,
Ein 37 jähriger Kaufmann, den ich früher mehrfach wegen Gonorrhoeen
behandelt hatte und der mir als gewissenhafter und ängstlicher Patient bekannt
war, consultirte mich am 22. Dezember 1897 wegen einiger Warzen am Scrotum,
Ueber die Aetiologie war er sich durchaus klar, sie waren durch Schweiss ent-
standen. Nur wollte er sie gern beseitigt haben, weil sie ihn ein klein wenig
genierten, Ich fand am Scrotum einige derbe, trockene Papeln, am Praeputium
rechts oben eine ganz oberflächliche, etwas derbe Narbe; die Inguinaldrüsen
waren deutlich, wenn auch nur in mässigem Grade vergrössert, derb, indolent.
Eine kleine Plaque der linken Tonsille schloss die Beweiskette zu unzweideutigster
Vollständigkeit, Es stellte sich nun heraus, dass der Patient Anfang August,
als er sich zur Erholung in einem Badeorte aufhielt, eine kleine Aufschürfung
am Praeputium bemerkt hatte, Der Arzt, den er dort sogleich consultirte,
hatte ihm beruhigend erwidert, dass es nichts von Bedeutung sei, und in der
That war nach mehrtägiger Applikation eines Pulvers die kleine Wunde gut
geheilt. Patient hatte die ganze Angelegenheit als längst abgethan betrachtet
und war nun höchlichst erstaunt und erschrocken, als ich ihn über sein Leiden
aufklärte. Wären hier nicht die Papeln am Scrotum dazu gekommen, so hätte
der Patient höchst wahrscheinlich seine Syphilis vollständig übersehen.
Die Frage der unvermittelten Spätsyphilis und die Lehren, die sich aus
ihr ergeben, werfen auch ihr Licht auf den noch so viel umstrittenen Zusammen-
hang zwischen Syphilis einerseits und Tabes und Paralyse andererseits. Viannay
hat (loc. cit. p. 886 ff.) sich über dieses Thema eingehend geäussert. Man wird
hm Recht geben müssen. wenn er behauptet. dass die Häufigkeit der tertiären
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