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Hypothesen.
aber nicht das Hauserproblem. Die ihn verblüffende Frage:
wie war es möglich, daß dieser geistig ganz ungebildete Mensch
seine Rolle jahrelang so fortspielen konnte, ohne je aus dersel—
ben förmlich hinauszufallen und sich zu verrathen?“
richtet sich an eine falsche Adress.. „Wie war es möglich?!“
muß man fragen, nicht mit dem verwunderten Blick geheftet auf
Kaspar Hauser, sondern auf Binder, von Tucher, Hermann, Daumer,
Feuerbach und ihre Nachbeter, die ihrem Kaspar seine sogenannte
„Rolle“ aufgeschwätzt, sie für ihn stufenweise ausgearbeitet haben).
Ich will an Pflaums Statt deutlich antworten: Kaspar konnte
zar nicht aus der Rolle förmlich herausfallen, denn in der ihm zu—
gedichteten, in ihn hineingeforschten, aus ihm herausgelockten Rolle,
das heißt in der Rolleeineslebenslänglicheingesperrten
sprachlosen Tiermenschen ist er nie aufgetreten. Er ist
weder die vierte Person einer heiligen Vierfaltigkeit, noch von einem
„anderen Planeten“ auf den Unschlittplatz herabgefallen, noch dort hin—
gezaubert, sondern er ist ohne Stock und ohne Unterstützung
und sprach- und umgangsfähig und durchaus nicht tages—
blind von dem Bärleinhuterberg zum Neuenthor, zum Rathause
und auf den Luginsland gewandert. Von der ersten bekaunten
Stunde an hat er mit allen Leuten geredet, auf ihren Wunsch ge—
lefsen und geschrieben, und in demselben Mutterdialekt, mit
welchem er 1828 auftrat, rief er 1833 auf seinem Sterbelager: nach
Münken!
Dort lag allerdings der Hase im Pfeffer. Noch zwei andere
) Die Hauserianer wähnen sich bloß mit dem Worte „Spitzbubentheorie“
don der Kritik befreien zu können. Umsonst! Die moralische Entrüstung hat sich
micht gegen den an sich sehr gleichgiltigen Kaspar Hauser zu richten — denn männig—
iich hätte wie er die Frucht der Dummheit mit Behagen genossen — sondern sie ist
aur gegen die Gründer und Bearbeiter seiner „Geschichte“ am Platz. Erst durch
die Art des Verfahrens gegen ihn Meerker hat es schon richtig gesehen)
ist der Lügner zum Betrüger geworden. Üübrigens sind die drei einzigen
Männer, die alle vorhandenen Hauserakten, außerdem aber auch den ersten Band
meines Buches gelesen haben, Herr Landgerichtspräsident Schmauß in Nürnberg,
der J1. Staatsanwalt Herr Enderlein in Fürth, Herr Landgerichtsrat Meyer
in Ansbach, mit meiner Grundauffassung vollkommen einverstanden.