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Wunder und Ideale.
wenigstens drei „Professoren“ in diesen Ruhm: der Philologe Wurm,
Dr. Fr. Ben. Wilhelm Hermann (1795—1868), zu Hausers Zeit
Lehrer der Mathematik in Nürnberg) und der eminente Philosoph
Daumer. Was diese gelehrten Herren bei Kaspar an „Erziehung“
geleistet haben, ist so überaus lächerlich, daß wir es mit ihren eigenen
Worten erzählen müssen.
Worte waren bei den Herren nicht Schall, sondern That—
sachen, verwegene oder hervorgelockte Behauptungen eben—
soviele merkwürdige Phänomene. Wer könnte da kontrollieren?
Wenn jemand sagt, daß er Kopfschmerz oder Zahnschmerz oder
Hüftenweh hat, oder daß ihn friert, oder daß er schläfrig wird, oder
daß er etwas sieht, riecht, hört, fühlt, träumt, ahnt, glaubt, be—
weisen Sie ihm denn einmal, daß er nichts riecht, sieht, hört oder
fühlt! Wie will man die Grille eines schmollenden Weibes, das Un—
wohlsein eines Diplomaten, die Einbildungen der Kinder wider—
legen? Erfahrene Leute lassen sie einfach auf sich beruhen. Wenn
nun aber wie bei Kaspar nach diesen subjektiven Empfindungen fort—
während Erkundigungen eingezogen werden, wenn der verhätschelte
Gegenstand der verderblichen Nachfrage bloß ja oder nein zu sagen
hat, so wird die Zahl der „Phänomene“ selbstverständlich grenzenlos
sein. „Nicht wahr, lieber Kaspar, das thut dir weh? Nicht wahr,
lieber Kaspar, da hast du gewiß viel geweint?“ Jawohl, warum
follte es da Hausern nicht weh gethan, warum sollte er da nicht
geweint haben? Ihm hat's nicht geschadet, und den Einfaltspinseln
that ja seine Bejahung erst recht nicht weh!
So sind z. B. folgende Daumergeschichtchen vollkommen verständ—
lich. „Jedes laute Wort, jeder Griff auf dem Klaviere that seinem
Ohre, ein paar Worte, die er las oder schrieb, alles Weiße und
Helle, auf welches er hinblickte, seinen Augen weh; er zitterte mit
s I
1) Später Staatsrat von H. in München. Von der intellektuellen Tüchtig⸗
keit dieses Professors ist ein Brief, den er an Kaspar schrieb, ein schlagender Be—
weis: „Sie haben die verschiedenen Alter vom Kinde bis zum Jüngling in einer
so kurzen Zeit durchlaufen, daß man Ihr Leben mit einer Alpenreise vergleichen
kann, die in dem Zeitraum von wenigen Tagen, ja oft von wenigen Stunden, die
Erscheinungen der verschiedenen Jahreszeiten vor dem Blick vorüberführt!“