Vorwort.
Im November 1882 las ich die damals erschienene Broschüre
eines angeblichen „v. R.“, der aus „nunmehr zur Veröffentlichung
bestimmten Papieren einer hohen Person“ den Nachweis der
fürstlichen Hherkunft Kaspar Hausers versprach. Mein
gutes Gedächtnis erkannte aber darin sofort den Hauptinhalt eines
verschollenen Romans (U. B. oder der Findling, Stuttgart 18541),
und so zeigte sich mir das vielbesprochene Machwerk auf den ersten
Blick als eine dreiste Fälschung. Das höchst bedenkliche Licht, das
damit auf den „guten Glauben“ der Verfechter der „Prinzentheorie“
fiel, reizte mich zu der Beantwortung einer kulturgeschichtlichen
Frage: Wie ist es denn zugegangen, daß ein junger Nensch, der
Im Abend des 26. Mai 1828 der Polizei in Nürnberg zugeführt
worden ist und zu seiner Beglaubigung nichts bei sich hatte als
einen Brief von einer Handschrift, wie er sie selbst schrieb
daß dieser Bursche nicht allein die Tageslitteratur, sondern zu—
letzt gekrönte Häupter und ihre diplomatische Vertretung jahre⸗
lang beschäftigt hat? Wie ist es endlich dahin gekommen, daß ein
Hauptertreter der Geschichte Kaspar Hausers (Daumer, 1875,
S. XXIV.) zu lehren gewagt hat: „Der Glaube an jene Geschichte
ist ein dem deutschen Volke eigener und natürlicher; die
Nation braucht sich desselben nicht zu schämen, er beruht auf
ihrem Sinn und Gefühl für Wahrheit und Gerechtigkeit,
und sie wird sich denselben auch schwerlich entreißen lassen. Wer
es zu thun versucht, der steht nicht auf deutschem Grund
und Boden. . . . Wir vertreten hier nicht nur den Unglücklichen
und uns selbst, die seinethalb Verfolgten, Geschmähten und Ge—
1) Nach Chr. Gottl. Kayers NM. Bücher-Lexikon 18335—40 (I. Leipzig,
841, 5. 401) von Fr. Seypbold.