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geboren. Am 15. Oktober erschien die Gräfin als weiße Frau
im Schlosse, raubte mit Hülfe des Majors Hennenhofer und
andrer Verschworenen das Kind und schob ein todtkrankes
unter. Letzteres starb am folgenden Tage und wurde als
Erbprinz beigesetzt. Ein zweiter Prinz, den die Großherzogin
1816 gebar, starb im folgenden Jahre, sei es eines natürlichen
Todes, sei es durch Gift. Der rechtmäßige Thronerbe wurde
in aller Stille erzogen und 1828, als bereits Ludwig regierte,
in Nürnberg ausgesetzt, um fortan als Kaspar Hauser seine
geheimnisvolle Rolle zu spielen.
Die ganze Erzählung klingt wie ein Roman, doch soll
dies nicht ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigen. Im wirk—
lichen Leben spielen sich zuweilen Romane ab, die die
Phantasie der Romanschreiber noch weit überbieten, selbst
auf Thronen, wie wir 1886 in Bayern und 1889 in Oester—
reich gesehen haben. In der Beurteilung Ludwigs und der
Hochberg gebe ich Herrn v. Artin recht und traue ihnen
immerhin solche Handlungsweise zu, auch mag mancher
Todesfall im badischen Hause durch ein Verbrechen herbei—
geführt sein. Vergessen darf aber hierbei nicht werden, daß
über unliebsame Persönlichkeiten sehr schwell nachteilige Gerüchte
entstehen, namentlich wenn wie hier die Umstände dazu stimmen,
daß man gern bereit ist, ihnen Verbrecheu anzudichten, und
die Beweise dann feil sind wie Brombeeren Außer den
Genannten galt dies namentlich von Hennenhofer, in dem
das Volk wohl mit recht den bösen Dämon des Großherzogs
Ludwig sah. Im einzelnen ist jene Vermutung nicht ohne
auffallende und unwahrscheinliche Umstände, die uns zu
ernster Prüfung veranlassen.
Zunächst ist die Erzählung vom Raube bedenklich. Der
kleine Prinz war von seinen Eltern, seiner Amme, Hebamme
und einem Teile des Hofstaates umgeben. Nach dem amt—
lichen Protokoll über die Nottaufe, die gleich denen über
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