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Hans Sachs.! Wackenroder stellt sich darin auf den Standpunkt des
wohl abwägenden Kritikers. Er erkennt als die Hauptzwecke jener
bürgerlichen Poesie, wie sie Hans Sachs pflegte: „Beförderung der
Erkenntniß der Christlichen Religion und der Moralität“. Am höchsten
stellt er bei Hans Sachs die Schwänke, von denen einige in „Aus-
druck und Erfindung“ „Meisterstücke in ihrer Art“ seien, und einige
‚allegorische Phantasien“, sehr gering schätzt er dagegen seine
lramatischen Arbeiten ein, „einige Fastnachtspiele ausgenommen“.
Wackenroder, mit dem "Tieck in die innigste literarische
Gemeinschaft getreten war, schied bereits am 13. Februar 1798
aus dem Leben. Aber die Hinweisungen auf den Wert der altdeutschen
Literatur, die Tieck von seinem Freunde empfangen hatte, blieben
lauernd wirksam. Sie führen von den „Volksmärchen“ (1797) zu
den „Minneliedern aus dem schwäbischen Zeitalter“ (1808), zu
Ulrichs von Lichtenstein „Frauendienst“ (1812), zur Veröffentlichung
jes „Deutschen Theaters“ (1817); ihre Spuren sind auch später
noch, wie wir bereits hörten (oben S. 201), deutlich sichtbar. Am
aingehendsten hat sich Tieck in den ersten Jahren des 19. Jahr-
hunderts mit altdeutscher Literatur befaßt,? hauptsächlich handelt es
sich dabei um mittelhochdeutsche Literatur. Der Dichter Tieck tritt in
arster Linie mit poetischem Interesse — nicht mit literarhistorischem
— an die alten Dichtungen heran, er will sich dabei selbst poetisch
betätigen. Das hat vor ihm bereits Goethe getan, das hat dann
Ludwig Achim von Arnim in ziemlich ausgedehntem Maße betrieben.
Wie Goethe durch eigenes Dpoetisches Schaffen durch das Hans-
Sachsische zu Hans Sachs vordrang, so ist dies auch bei Tieck der
Fall. Tieck hat unter allen Romantikern am meisten
in den verschiedensten Formen im Geiste des Hans
JZachs und für ihn gearbeitet. Er hat in Hans Sachsens Art
yedichtet, er hat ihn charakterisiert, er hat die Person Hans
Sachsens in einem Schauspiel vorgeführt, er hat Werke von ihm
herausgegeben. Und doch kann man nicht sagen, daß er einen
neuen Zug in das Bild Hans Sachsens gebracht oder einen bereits
ı Haym a. a. O0. 8. 810; Allg. d. Biogr., 40. Bd., S. 445. Der Aufsatz
wurde aus dem handschriftlichen Nachlasse Wackenroders herausgegeben
von Friedr. Heinr. von der Hagen in seiner Germania (Neues Jahrbuch der
Berlin. Gesellschaft für deutsche Sprache), 1. Bd.. Berlin, 1836, S. 291—294.
2 Haym a. a. 0. SS. 811 —5812..