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beigetragen hat, er sollte nun die Symbole all jener Thätigkeiten
dem Begriff der Melancholie untergeordnet haben, als ein Geständ-
nis, dass sie im Grunde doch zu Nichts führen? Er sollte durch
die I neben der Aufschrift bekannt haben, dass diese Kenntnisse
doch alle zurückzutreten haben vor den allein Frieden bringenden
göttlichen Studien?
Hier hat von jeher die Hauptschwierigkeit begonnen.
Und doch lässt auch sie sich ohne irgend einen Zwang über-
winden und der ganzen Untersuchung der feste Schlusstein auf-
setzen, sobald wir nur historisch zu verstehen suchen, aus welcher
Seelen- und Zeitstimmung heraus Dürers Gegenbilder des beglük-
kenden Gottesfriedens und des unbefriedigenden weltlichen
Forschens, das zur Schwermut führt, geschaffen worden sind.
VII. KAPITEL.
Die deutsche Melancholie am Vorabend der
Reformation.
| Kür das Mittelalter waren die weltlichen Künste und Wissen-
‚schaften lediglich die Vorstufe gewesen zur Erkenntnis der göttlichen
(Weisheit. Alcuin, der Freund und Lehrer Karls des Grossen,
drückt das in den Worten‘ aus: „Trivium und Quadrivium sind
die Wege, auf denen die Jugend täglich laufen muss, um nach
erlangter Reife und Geistesstärke die Höhen der heiligen Schrift
erklimmen zu können.“ Aehnlich sein grosser Schüler Rhaba-
nus Maurus. „Nur als Dienerinnen der Gottesgelehrsamkeit
haben die sieben Künste für den Christen Bedeutung.“ „Sieben
Wohnsitze der menschlichen Seele sind sie, sagt Honorius von
Autun (Anfang 12. Jahrhunderts), in welchen der menschliche
Geist auf der Wanderschaft nach seiner wahren Heimat, der gött-
lichen Weisheit, der Reihe nach seinen Aufenthalt nehmen muss.“
— „Durch die sieben Künste geht der lebendige Geist zu den
Geheimnissen der Weisheit ein,“ sagt Hugo von St. Victor
(t 1141). Die Weisheit aber ist die göttliche, — die „Sapientia“.