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und Mensch decken sich bei ihm vollkommen. Auch sein mensch-
liches Wesen wird von den mächtigen Stimmungen der Zeit erfasst,
seine Persönlichkeit von dem allgemeinen Wechsel und Wandel
in der Weltanschauung berührt. Unsere Teilnahme für den Säkular-
menschen hält gleichen Schritt mit der Bewunderung seiner Selb-
ständigkeit. Der gereifte Künstler steht nicht im schroffen Gegen-
satze zu dem Stürmer in jüngeren Jahren. Jeder grössere Wechsel
in seinem Phantasieleben erscheint nur als ein Schritt vorwärts
in seiner Entwickelung. Das verdankt er dem festen Beharren auf
dem Volksboden. Den grossen Strömungen der Zeit flossen die
vielen kleineren, scheinbar noch klareren und reineren zur Seite.
Dürer verliert sich nicht in die Nebenströme, hütete sich dem sub-
jcektiven Meinen und Belieben einen allzu weiten Raum zu gönnen,
die formalen Regeln ausschliesslich anzuwenden. Er fügt zu den
langsam angesammelten Kunstschätzen nur hinzu, was in der Volks-
seele Wurzeln gefasst hat, eine dauernde Stimmung weckt.
Vollendete Volkskunst schwebt ihm als Ziel vor. Zwar kannte
auch schon das Mittelalter eine volkstümliche Kunst. Aber hier
kam das künstlerische Element doch nicht immer zu seinem Recht.
In der italienischen Renaissance tritt der volkstümliche Zug gegen
das Kunstreiche in den Hintergrund zurück. Die grossen Schöpfungen
der italienischen Meister waren weder für das Volk bestimmt —
sie waren ihm auch selten zugänglich — noch auf das volle, freie
Verständnis desselben berechnet. Erst Dürer wagte mit kühnem
Geiste den Versuch, das volkstümliche Wesen der Kunst mit den
Forderungen eines geläuterten Formensinnes zu verbinden. Darauf
beruht seine geschichtliche Bedeutung.