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Auch in dem religiösen Kreise begann er mit der Verkörperung
der heimlichen Offenbarung, um allmählich zu den farbenhelleren,
die menschliche Empfindung unmittelbar packenden Schilderungen
aus dem Leben Christi und Mariä überzugehen und zuletzt in der
Passionsgeschichte den Kernpunkt für sein künstlerisches Schaffen
zu finden. Bei Dürer darf man aber Werk und Persönlichkeit
nicht trennen. In jenem spiegelt sich stets hell und klar die
Stimmung, das innere Leben des Künstlers wieder. Wic seine
Phantasie nicht müde wird, immer und immer wieder das Leiden
Christi anschaulich zu gestalten, so erscheint auch sein sittlich
religiöser Sinn von der Bedeutung des Kreuzestodes tief ergriffen,
und er findet in ihm den Grund- und Eckstein des wahren
Glaubens.
Diese Überzeugungen machten ihn für die religiösen Gedanken,
Zweifel und Kämpfe, welche seit dem Anfang des Jahrhunderts in
den Seelen mächtig hin und her wogten, empfänglich. Er wurde
gleichfalls von der geistigen Bewegung tief ergriffen, die wir kurz
ınd gut als Reformationsstimmung bezeichnen. Seine ganze Um-
scbung brachte ihn ohnehin derselben nahe. Er verkehrte am
liebsten und innigsten unter den Männern der neuen Zeit, welche
in keiner andern deutschen Stadt so einflussreich und massgebend
waren wie in Nürnberg. Überblickt man die Namen seiner Freunde
und Gönner von Celtes, Schedel, Scheurl, Pirkheimer bis zu
Spalatin, Nützel, Spengler, Holzschuher, Melanchthon, so begrüsst
man lauter Männer, welche in der litterarischen Welt oder im
öffentlichen Leben eine grössere Rolle spielten, an den geistigen
Kämpfen regen Anteil nahmen. Sie führten ihn in das Reich der
Humanisten ein, und als sie aus diesem vornehm sich absperrenden,
dem wirklichen Leben cigentlich abgewandten Kreise heraustraten
and der volkstümlichen Bewegung sich anschlossen, fanden sie in
Dürer einen treuen Genossen. Dürer war über den Kampf Reuchlins
mit den Dunkelmännern wohl unterrichtet, die Schriften des Erasmus
waren ihm eine Quelle der Ergötzung und künstlerischen Anregung.
LErasmische Gedanken hallen in den berühmten Kupferstichen aus
den Jahren 1513 und 1514 nach. Tiefe Verehrung zollte er dem
Manne, einem „tapferen Ritter Christi‘, welchemer den fröhlichen Willen
zutraut, für die Wahrheit den Märtyrertod zu erleiden. Als Luther
seine Stimme erhob, gab es wenige Männer, welche so eifrig auf
ihn hörten und so treu ihm anhingen, wie Dürer. Bereits im An-
fange des Jahres 1518, also nur wenige AMonate, nachdem Luther