anderen Abschnitte des Weltalters in die Hand. Wir denken an
eine Blüte, welche langsam ansetzt und dann wieder allmählich ver-
welkt. So umspannen wir die erste Hälfte unseres Jahrtausends
mit dem ‚gemeinsamen Namen des Mittelalters. Das dreizchnte
Jahrhundert gilt als die Zeit der Blüte, während insbesondere das
fünfzehnte Jahrhundert den Verfall der mittelalterlichen Bildung
offenbart.
Auch im Kreise der künstlerischen Entwickelung. Und in der
That, wer wird nicht willig den grossen Domen des dreizchnten
Jahrhunderts den Preis vor allen Bauten der nächstfolgenden Jahr-
hunderte zugestehen, wer nicht offen bekennen, dass auch die Werke
der älteren Plastik, namentlich in der Wiedergabe der feinen Gestalten
einen gewissen Schönheitssinn bekunden, welchen die Schöpfungen
des jüngeren Künstlergeschlechtes nur zu häufig vermissen lassen?
Demnach wäre es nicht nur ungerecht, sondern auch falsch, wollte
man unbedingt von einem Verfalle der Kunst im fünfzehnten Jahr-
hundert sprechen und die Meinung, die spätere Zeit habe einfach
alte, schöne Muster verschlechtert und verdorben, zur Grundlage
eines sachlichen Urteils nehmen. Ein lebenskräftiges Volk verzichtet
niemals auf selbständiges Schaffen und lässt sich ausschliesslich an
dem von den Vätern empfangenen Erbe genügen. Es strebt viel-
mehr auf eigenen Erwerb an, mag immerhin dadurch zunächst der
überlieferte Besitz gestört werden. Sicht das Auge schärfer zu, so
erblickt es neben Spuren des Absterbens auch die Keime neuer
Bildungen. Das fünfzchnte Jahrhundert bestätigt diese Wahrnehmung.
Vom Anfang bis zum Schlusse wird es von einer Doppelströmung
durchzogen.
Das Verständnis für die geheimnisvolle Erhabenheit der gotischen
Dome ist im Schwinden begriffen, der Eifer für ihre Weiterführung
und Vollendung erlahmt. Noch stehen zu ihren Füssen die alten
Bauhütten aufrecht; aber gerade diese sprengen die organische Ver-
bindung zwischen den Schmuckteilen und den konstruktiven Gliedern
am schroffsten und verwandeln jene in ein blosses Spiel. Eine
rege Bauthätigkeit hört deshalb nicht auf. Sie wird nur in andere
Landschaften verpflanzt, sic steigert sich sogar gegen früher in
Städten und Dörfern. Die Mehrzahl unserer alten Dorfkirchen dankt
dem fünfzehnten Jahrhundert das Dasein. Die Baubewegung, sonst
von Fürsten, Bischöfen, vornehmen Klöstern besonders angeregt,
dringt in die mittleren und unteren Kreise vor, bekundet dadurch
einen Zug nach dem Volkstümlichen. Der gleiche Zug prägt sich