Volltext: Albrecht Dürer

anderen Abschnitte des Weltalters in die Hand. Wir denken an 
eine Blüte, welche langsam ansetzt und dann wieder allmählich ver- 
welkt. So umspannen wir die erste Hälfte unseres Jahrtausends 
mit dem ‚gemeinsamen Namen des Mittelalters. Das dreizchnte 
Jahrhundert gilt als die Zeit der Blüte, während insbesondere das 
fünfzehnte Jahrhundert den Verfall der mittelalterlichen Bildung 
offenbart. 
Auch im Kreise der künstlerischen Entwickelung. Und in der 
That, wer wird nicht willig den grossen Domen des dreizchnten 
Jahrhunderts den Preis vor allen Bauten der nächstfolgenden Jahr- 
hunderte zugestehen, wer nicht offen bekennen, dass auch die Werke 
der älteren Plastik, namentlich in der Wiedergabe der feinen Gestalten 
einen gewissen Schönheitssinn bekunden, welchen die Schöpfungen 
des jüngeren Künstlergeschlechtes nur zu häufig vermissen lassen? 
Demnach wäre es nicht nur ungerecht, sondern auch falsch, wollte 
man unbedingt von einem Verfalle der Kunst im fünfzehnten Jahr- 
hundert sprechen und die Meinung, die spätere Zeit habe einfach 
alte, schöne Muster verschlechtert und verdorben, zur Grundlage 
eines sachlichen Urteils nehmen. Ein lebenskräftiges Volk verzichtet 
niemals auf selbständiges Schaffen und lässt sich ausschliesslich an 
dem von den Vätern empfangenen Erbe genügen. Es strebt viel- 
mehr auf eigenen Erwerb an, mag immerhin dadurch zunächst der 
überlieferte Besitz gestört werden. Sicht das Auge schärfer zu, so 
erblickt es neben Spuren des Absterbens auch die Keime neuer 
Bildungen. Das fünfzchnte Jahrhundert bestätigt diese Wahrnehmung. 
Vom Anfang bis zum Schlusse wird es von einer Doppelströmung 
durchzogen. 
Das Verständnis für die geheimnisvolle Erhabenheit der gotischen 
Dome ist im Schwinden begriffen, der Eifer für ihre Weiterführung 
und Vollendung erlahmt. Noch stehen zu ihren Füssen die alten 
Bauhütten aufrecht; aber gerade diese sprengen die organische Ver- 
bindung zwischen den Schmuckteilen und den konstruktiven Gliedern 
am schroffsten und verwandeln jene in ein blosses Spiel. Eine 
rege Bauthätigkeit hört deshalb nicht auf. Sie wird nur in andere 
Landschaften verpflanzt, sic steigert sich sogar gegen früher in 
Städten und Dörfern. Die Mehrzahl unserer alten Dorfkirchen dankt 
dem fünfzehnten Jahrhundert das Dasein. Die Baubewegung, sonst 
von Fürsten, Bischöfen, vornehmen Klöstern besonders angeregt, 
dringt in die mittleren und unteren Kreise vor, bekundet dadurch 
einen Zug nach dem Volkstümlichen. Der gleiche Zug prägt sich
	        
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