Volltext: Albrecht Dürer

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scheinen die Regeln (canones), nach welchen der christliche Ritter 
leben soll, verwandt mit der Schilderung in Dürers Stiche. Der 
christliche Ritter hat auf dem rauhen Pfade der Tugend mit den 
drei schlimmsten Feinden, dem Fleische, dem Teufel und der Welt, 
zu kämpfen. Er soll aber alle diese Spukgestalten und Gespenster 
verachten wie der Virgilsche Acneas (Can. 3). Auch das soll er 
5cdenken, dass der hinterlistige Tod überall lauert und plötzlich 
lie Ahnungslosen überfällt (Can. 23). 
Wahrscheinlich hat die Beschäftigung mit den Schriften des 
von Dürer hochverehrten Erasmus in dieser Zeit auch sonst seiner 
künstlerischen Phantasie einzelne Anregungen geboten. Im Jahre 
++ stach Dürer zwei grosse Blätter, welche wie der christliche 
Ritter zu den berühmtesten Schöpfungen des Meisters gehören und 
ebenfalls Dürers Traumwelt entsprungen sind, den Hieronymus im 
Gehäus und die Melancholie. Der Kirchenvater sitzt in einem 
geräumigen, von den Strahlen der durch die Butzenscheiben schei- 
nenden Sonne erwärmten Gemache, in welchem allerhand Haus- 
gerät wohlgeordnet an den Wänden prangt, an einem Tische und 
schreibt emsig, mit dem Ausdrucke vollkommener Glückseligkeit 
über die Arbeit. Im Vordergrunde liegt, müde mit den Augen 
blinzelnd ein Löwe, ihm zur Seite schläft ein Spitzhund. Alles, 
die Hauptgestalt wie die Nebendinge, die ganze Szene atmet tiefsten 
Frieden, stille Heiterkeit, behagliche Ruhe. Ganz anders ist die 
Melancholie. Eine mächtige, geflügelte Frauengestalt, das Gesicht 
völlig in Schatten gestellt, sitzt am Fusse eines Pfeilers. Sie stützt 
lie Wange auf die Linke, hält unbewusst einen Zirkel in der andern 
Hand und starrt mit ihren grossen Augen wie verloren in die 
Ferne. Ihr zur Seite hat ein geflügelter Knabe einen Mühlstein 
bestiegen und zeichnet sitzend etwas auf ein Täfelchen. Auch 
hier ist der Raum mit allerhand Gerät angefüllt. Aber keine 
ordnende Hand hat es aufgestellt, wirr durcheinander liegt es auf 
dem Boden. Es dient nicht dem häuslichen Behagen, lässt uns 
in kein gemütliches Heim blicken, weist vielmehr auf die Beschäf- 
tigung mit allerhand Künsten und Wissenschaften hin. Ein Schmelz- 
tiegel, eine Kohlenzange, eine stercometrische Figur, Hobel, 
Säge, Lineal, Spritze fallen zunächst in das Auge. Dass hier der 
grübelnde Verstand herrscht, deutet das Zahlbrett mit vier Ziffer- 
reihen an, welche nach unten oder oben, nach rechts oder links 
oder schräg gelesen, immer die gleiche Summe ergeben. Die 
heiden Blätter sind Gegenstücke, jedes ergänzt das andere. 
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