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dem höchsten Werte der Dürerschen Zeichnungen findet auch
ür den Kreis der heiligen Familie volle Bestätigung. Mit der
koölorierten Zeichnung der heiligen Familie in Basel, 1509, mit
der Anna Selbdritt, im Germanischen Museum in Nürnberg,
1514, halten die gleichnamigen Stiche und Schnitte Vergleiche
nicht aus. In einer von Säulen getragenen, gewölbten Halle hat
sich auf der Baseler Zeichnung die Madonna mit dem Kinde auf
dem Schosse niedergelassen, Die Architektur zeigt zum ersten-
male die reinen Renaissanceformen, wenn auch mit allerhand phan-
tastischem Aufputz, von Dürer angewandt. Während das Kind
sich mit einem gefangenen Vogel und einem Apfel vergnügt, blickt
die Madonna zu den kleinen Engelsknaben herab, welche zu ihren
Füssen eine fröhliche Musik angestimmt haben. Im Mittelgrunde
giebt sich Joseph nach gethaner Arbeit, den hohen Bierkrug zur
Seite, den Kopf auf die Tischplatte gesenkt, erquicklichem Schlafe
hin. Die andere Zeichnung, Anna Selbdritt benannt, überrascht
zunächst durch den streng einheitlichen Aufbau der Gruppe. Die
Umrisse werden von den Linien einer Pyramide fest umschlossen.
Die Spitze der Pyramide bildet Anna in rötlichem Mantel und
weissem Kopftuche. Sie hatte in einem Buche gelesen, lässt aber
jetzt dasselbe sinken, an dem Spiele der quer vor ihr gelagerten
Maria mit dem Kinde sich ergötzend. Das Christkind hat sich von
den Knicen der Madonna erhoben und strebt unbehilflich zu ihr
empor, von der Mutter durch liebevollen Blick und heiteres Lächeln
des leicht geneigten Kopfes aufgemuntert. Gerade diese Technik,
Federzeichnungen mit Wasserfarben flüchtig zu überziehen, sagte
Dürer ungemein zu. Er hat sie stets geübt, niemals mit so grossem
Erfolge als wieder in diesen Jahren vollkommener Reife. Mehrere
der in der Ambraser Sammlung in Wien bewahrten mythologischen
Aquarellzeichnungen, wie der von der Biene verfolgte Amor, welcher
zur Venus flüchtet und die Brunnennymphe fallen in diese Zeit.
Ihr Studium bannt das Vorurteil, als ob Dürer der Schilderung
weiblicher Anmut völlig fremd gewesen und geblieben wäre. Die
Welt, in welcher sich seine Phantasie am liebsten bewegte, war
allerdings männlicher Natur, aber in einzelnen glücklichen Augen-
blicken fand auch der Reiz weiblicher Schönheit Eingang in
seine Seele.