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herzustellen waren. Im Allgemeinen liess sich erkennen, dass sich alle Aus-
steller bemüht hatten, neben der Vorführung besonders sorgfältig in Bezug
auf Form und Technik gearbeiteter Waren, wie solche wohl hier zu Lande
verkäuflich sind, auch noch ihre Exportfähigkeit über den ganzen Weltmarkt
hin in gebührendes Licht zu setzen, denn darauf beruht ja die Hauptbe-
deutung dieser Industrie für Bayern. Wenn man sich daher recht wohl
ein ganz klares Bild des heutigen Standes entwerfen konnte, so muss um
so schwerwiegender die Bemerkung fallen, dass in Bezug auf kunstgewerb-
liche Leistungen bis heute noch sehr wenig geboten wird, obwohl gerade
dieser Industriezweig mit einem so mannigfachen, schönen und formbaren
Materiale einer hohen künstlerischen Ausbildung in äusserer Gestaltung
und technischer Bearbeitung unterzogen werden könnte. Beispiele davon
finden wir genügend in den ethnographischen Museen und Sammlungen an
den charakteristisch schönen und künstlerischen Flechtarbeiten Chinas,
Japans und Indiens!
Die Pfalz war in dieser Sparte gar nicht vertreten, obwohl gerade
dort von Seiten der k. Regierung auf die Hebung und Ausbreitung dieser
Industrie alle Sorgfalt verwendet wird. Allerdings erstreckt sich die Thätig-
keit dortselbst weniger auf Luxus und Zierarbeiten, als mehr auf Gegen:
stände des wirtschaftlichen und häuslichen Gebrauches.
Wie wichtig für ein Land die Erhaltung und sorgfältigste Pflege einer
derartigen Industrie ist, beweist zur Genüge der Umstand, dass gegenwärtig
im Bezirke Lichtenfels allein gegen 3000 Arbeiter beschäftigt sind, wodurch
ein jährlicher Umsatz von etwa 4 Millionen Mark erzielt wird. Nach den
mir freundlichst von Herrn Korbwarenfabrikant G. Gagel in Lichtenfels
zugestellten Notizen geht hervor, dass die Korbwarenindustrie im Bezirke
Lichtenfels aus kleinen Anfängen nach den russisch-französischen Kriegs
jahren entstanden sei, zu welcher Zeit sich die Fabrikation nur auf ordi-
näre Arbeiten aus Weiden beschränkte und erst in den 40er Jahren
jebensfähiger wurde, als man anfing die feinsten französischen Muster in
Geschmack, Form und Flechtart, und zwar wesentlich billiger, herzustellen.
Von da ab datiert sich auch der Export nach allen Weltrichtungen, ja selbst
nach Frankreich, trotzdem man erst von dorther die Weiden beziehen
musste. Später wurden die elegantesten Artikel auch aus anderen Mate-
rialien als Rohr, Espartogras aus Spanien und Palmenfaser aus Südamerika,
Lackrohr, Bänder, Kordeln, Pfauenfederstielen ete. fabriziert und zwar SO
billig, dass bis heute keine auswärtige Konkurrenz aufzukommen vermochte,
Der Aufschwung dieser Industrie hatte denn auch in den 60er Jahren eine
Ausdehnung nach dem Bezirke Kronach und den angrenzenden sächsischen
Ortschaften mit Koburg zur Folge. Dass das Streben dieser Industrie und
der Erfolg eines ununterbrochenen wachsamen Eifers noch in höherem Grade
sich lohnen wird, ist hauptsächlich davon abhängig, dass die Weidenkultur
in Deutschland, der man jetzt allenthalben, besonders in der Pfalz, erhöhte
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