— 716 —
Aamentlich der sich stets benachteiligt und gekränkt fühlende Ader
mag auf diesen „übermut“ nicht gut zu sprechen gewesen sein (vgl.
oben S. 526). Nürnberg galt vielen als die eigentliche Hauptstadt
des deutschen Reichs, so z. B. Luther, der es „das Auge und Ohr
Deutschlands“ nannte. Dr. Scheurl bemerkte einmal: Was Venedigs
Name bei den Italienern bedeute, klinge im Namen Nürnberg bei den
Deutschen wieder. Aber auch in der Königin der Adria selbst hatte
man eine hohe Achtung vor der reichen und vortrefflich geordneten
nordischen Schwesterstadt. Es kursierte in Venedig das Sprüchwort,
alle deutschen Städte seien blind, nur Nürnberg sehe auf einem Auge.
Noch in der Mitte des 16. Jahrhungerts (1548) konnte der venetia—
nische Gesandte Alvise Mocenigo schreiben: „Diese Stadt genießt den
Ruf, sich besser zu regieren als jede andere in Deutschland, weshalb
sie auch von Vielen das Venedig Deutschlands genannt wird.“ Und
wie gesagt, der Rat der Stadt verdiente dies Lob. So oligarisch-⸗
patrizisch er zusammengesetzt war, so engherzig er wohl auch auf seine
Sondervorrechte wachte, im allgemeinen hat er, soviel wir davon wissen,
nur selten den schönen Spruch Lügen gestraft, der schon in der Mitte
des 15. Jahrhunderts über der Thüre zum großen Rathaussaale an—
geschrieben stand:
„Eins manns red ist eine halbe red,
Man soll die teyl verhören bed.“
Die Hammerschläge, mit denen der Augustinermönch Dr. Martin
Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Schloßkirche zu
Wittenberg heftete, hallten durch ganz Deutschland, und Nürnberg war
eine der ersten unter den deutschen Städten, die dem damals allerdings
noch nicht als welterschütternd erkannten Ereignis ihre vollsten Sym—
pathieen entgegentrugen.“) Die Thesen wurden hier, wie es scheint, zuerst
durch Scheurl bekannt, der sie von einem Wittenberger Freunde, nicht von
Luther selbst, mit dem er doch gerade damals eine rege Korrespondenz
unterhielt, erhalten hatte. Wunderbar, daß Scheurl auch einem Manne,
wie Eck durch die Übersendung derselben eine Freude zu machen hoffte.**)
Neben Scheurl waren es namentlich die Mönche des Augustinerklosters,
*) Für unsere Darstellung der Reformationszeit vgl. vor allem Roth, Friedrich,
Die Einführung der Reformation in Nürnberg 1517 -1528. Würzburg, 1885 und
dazu Mummenhoffs Kritik in den Mitteilungen des V. f. G. d. Stdt. Nbg. 6. Heft
S. 271 ff. Daneben außer den älteren Werken von Lochner und Soden und selbst—
verständlich den Müllner'schen Annalen Ludewig, Georg, die Politik Nürnbergs im
Zeitalter der Reformation (von 1620 —15834), Göttingen, 1808. Außerdem für die
allgemeinen Verhältnisse namentlich das berühmte Werk von Friedrich von Bezold,
Geschichte der deutschen Reformation. Berlin, 1880 (bei Oncken).
*«) Luther war freilich in seiner Auffassung Eck's, mit dem er auf Scheurl's
Veranlassung korrespondierte, damals noch ebenso befangen.